Wir sitzen immer noch und schauen einfach – Gott / Gandalf und ich. Zugegeben: Ich schaue nicht nur, sondern es rattert und knattert in mir nach unserem Gespräch. Was wohl in Gott vorgeht, während er mit mir schaut …?
Das würdest du wohl gerne wissen!?
Was? – Ich schrecke aus meinen Gedanken hoch.
Na, was in mir vorgeht?
Warum auch nicht. Du weißt ja offensichtlich auch, was in mir gerade vorgeht.
Mag sein. Aber du bist eben nicht Gott. Und außerdem „weiß“ …
… „weißt“ du streng genommen nicht in unserem menschlichen Sinne des Wortes. Ich weiß.
Dass du dir das aus unserem Gespräch gemerkt hast, ist mir schon klar.
Ist dir „klar“ … Claus hat auch mehrmals davon gesprochen, dass dir ja vorher immer schon alles „klar“ ist. – Ist das vielleicht die richtige Formulierung für dein „Wissen“: Klarheit?
Es könnte zumindest sein, dass es der Sache ein bisschen näher kommt. Andererseits ist jedes menschliche Wort …
… nicht dazu geeignet, dich zu begreifen, ja ja. Es sind alles nur Bilder, die uns Menschen von der Wahrheit höchstens ein kleines Zipfelchen erahnen lassen.
Das hätte ich jetzt auch nicht besser ausdrücken können.
Aber vielleicht sollte ich zu den Worten von Claus noch dies sagen: Selbst wenn „klar“ die Sache einigermaßen trifft, so gilt für „vorher“ das Gegenteil. Was sollte „vorher“ für mich sein? Ich bin schließlich – wie nennt ihr das? – ewig.
Vielleicht hat Claus auch gar nicht von „vorher“ gesprochen. Ich habe es mir nicht wörtlich gemerkt.
Er hat mich tatsächlich etwas anders zitiert.
Das weißt du natürlich auch.
Da muss ich dich schon wieder korrigieren: Ich weiß es nicht, sondern es ist mir klar – und zwar ewig.
Schweigen.
Du, Gott?
Ja, ich bin Da.
Wenn es mit den ganz großen Fragen so schwierig ist, selbst wenn man dir direkt begegnet. Könnte ich dir wenigstens eine kleinere Frage stellen?
Versuchen kannst du es ja.
Weißt du … nein, also ist dir „klar“, ob Nürnberg nun absteigt aus der Zweiten Bundesliga?
Ja.
Sagst du es mir?
Nein.
Aber du könntest es mir sagen, wenn du wolltest?
Nnnnnnnnnein.
Warum nicht? Wenn es dir klar ist, dann müsstest du es doch sagen können. Du müsstest doch eigentlich Alles können.
Da muss ich jetzt mit Radio Eriwan antworten: Im Prinzip ja, aber …
… aber?
So wie ich nicht in irgendeinem menschlichen Sinne des Wortes „weiß“, so „kann“ ich auch nicht in irgendeinem menschlichen Sinne des Wortes.
Ok. Das hätte ich mir als Theologe und Philosoph eigentlich denken können.
Allerdings. Und du hast ja auch schon oft genug darüber nachgedacht. Aber es ist eben ein Unterschied, ob du über mich nachdenkst, oder ob du es direkt mit mir zu tun hast.
Und du „darfst“ auch nicht, bist nicht „gerecht“, „gut“, „böse“, „lieb“, „schön“, … – Was bist du überhaupt?
Gott lächelt.
Ok, ich weiß es eigentlich und sage es ja auch oft genug in Gottesdiensten: „Da“ bist du. Wobei (Da-)“sein“ die Sache vermutlich schon wieder weniger gut trifft.
Genau. Du hast es für dich doch schon öfter so formuliert: Gott … also ich … bin Da, obwohl es mich nicht gibt.
Und das stimmt?
Es trifft die Sache zumindest ganz gut, finde ich.
Danke. – Jetzt sind wir wieder bei deinem Namen angekommen. Und aus einer kleinen Fußballfrage wurden gleich wieder komplizierte theologische und philosophische Fragen.
Das muss wohl an dir liegen.
Ich glaube eher, es liegt an dir, Gott.
Nein, es liegt an dir.
Nein, an dir.
Nein, an dir.
36.
???
Reingelegt!– Und jetzt frag mich bitte nicht, was 36 bedeutet.
Ach so. Und ich hab‘ schon überlegt wegen Quadratzahl oder 3 mal 12 …
Ganz schön frech gehst du mit Gott um.
Die Fragezeichen in deinem Gesicht waren es wert! Obwohl sie nicht echt waren.
Warum nicht?
Weil dir doch schon klar war, was jetzt von mir kommt und warum.
Und du glaubst, deshalb waren mein fragender Blick und meine Überraschtheit nicht echt?
Geht ja gar nicht, wenn dir immer alles schon vorher, nein, ewig klar ist.
Das stimmt nicht: Du hast doch vorhin selbst gesagt, dass ich eigentlich „Alles“ können müsste. Also müsste es, wenn wir jetzt mal den schwierigen Begriff „können“ vermeiden, müsste ich doch „fähig“ sein, ehrlich überrascht zu sein.
Das führt doch in Widersprüche!?
Ja, bei euch Menschen in der Zeit und mit euren zeitgebundenen Gedanken schon. Aber bei mir in der Ewigkeit sieht es anders aus.
Wenn dir also sowas „möglich“ ist, warum ist es dir dann nicht möglich, mir zu sagen, ob Nürnberg absteigt?
Weil ich dir das in der Zeit sagen würde. Und eine solche Auskunft würde die Zeit … also sie ist jedenfalls nur außerhalb der Zeit möglich. Du kennst doch selbst die Schwierigkeiten, die sich durch Vorauswissen der Zukunft, Zeitreisen und so ergeben. Sind schließlich in Filmen, Abhandlungen und Geschichten aller Art auf ziemlich viele Arten und Weisen durchgespielt worden – besonders schön bei Douglas Adams, wie du weißt.
Allerdings: Marvin, der am Ende älter ist als das Universum, weil er so oft in der Zeit zurückgereist ist. Oder die Fahrstühle, die fünf Minuten in die Zukunft schauen können, damit sie immer schon wissen, wo jetzt jemand einsteigen und wohin er fahren will. Den Fahrstühlen wird so langweilig dabei, dass sie die Leute zu überzeugen versuchen, in ein anderes Stockwerk als geplant zu fahren. Am Ende werden sie depressiv, fahren in den Keller und bleiben dort.
Genau. Oder anders gesagt: Die Zukunft vorauswissen, das macht verrückt. Die ganze Welt wird verrückt.
Aber wegen eines vorhergesagten Fußballergebnisses würde doch nicht gleich die Welt zusammenbrechen … Ich verspreche auch, kein Kapital draus zu schlagen.
Sagen wir mal so: Die Welt würde nicht mit großem Getöse in sich zusammenfallen, aber – vereinfacht gesagt – sie wäre nicht mehr die, die sie ist.
Wäre das denn so schlimm? Ich meine, sie könnte dabei ja auch …
… besser werden? Weil in der Welt, so wie sie ist, viele schlimme Dinge passieren?
Tschulligung …
Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Hiob hat sich auch nicht dafür entschuldigt, dass er mir Grausamkeit und Willkür vorgeworfen hat.
Na ja, irgendwie hat er sich schon entschuldigt.
Du meinst, weil er anerkannt hat, dass er mich nicht verstehen kann? – Du weißt doch als Theologe, dass die genaue Bedeutung von Hiob 42,6 unklar ist. Für seine harten Worte mir gegenüber hat er sich jedenfalls nicht entschuldigt. Und das muss er auch nicht. Niemand muss das.
Mir fällt gerade auf: Die Bibelstelle, wo Hiob endgültig erkennt und anerkennt, dass er die Frage nach „dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“ nicht beantwortet bekommt, ist der Anfang von Kapitel 42(!) des Hiobbuches …
… womit wir wieder mal bei Douglas Adams wären.
Wahrscheinlich lassen sich Fragen wie die nach „Allem“ oder nach den schlimmen Dingen in der Welt nur mit seiner Art von Humor verhandeln.
Es gibt noch ein paar andere Möglichkeiten für euch Menschen, einigermaßen treffend darüber zu sprechen. Aber eine theoretische oder eindeutige „Lösung“ oder „Antwort“ gehört sicher nicht dazu.
„42“ also.
Ja, „42“. Aber immer mit der Erfahrung im Hintergrund, dass ich Da bin. In Kapitel 42 sagt Hiob ja schließlich auch dies: „Nun hat mein Auge dich gesehen.“
Irgendwie gilt das ja jetzt auch für mich, oder?
Im Prinzip ja, aber …
… ja, ich weiß: Es gilt auch, was ich am Anfang unseres Gespräches gesagt habe. Ich kann mir nie sicher sein, ob ich es wirklich mit dir zu tun habe.
Genau.
Übrigens: Nürnberg hält die Klasse.
??? – Wieso kannst du mir das jetzt doch sagen?
Genau aus diesem Grund: Weil du gar nicht sicher weißt, ob du es wirklich mit mir zu tun hast. Und selbst wenn du das wüsstest; dann wüsstest du immer noch nicht, ob ich dir jetzt wirklich die Zukunft „vorhergesagt“, dich veräppelt, von einer anderen Saison gesprochen oder einfach nur eine Vermutung geäußert habe …
Wie solltest du denn vermuten können, wo dir doch Alles klar ist?
Genauso wie ich auch fähig bin, ehrlich überrascht zu sein.
Mir brummt der Kopf.
Das kann ich verstehen. Deshalb verabschiede ich mich jetzt besser mal.
Schade. Ich hätte immer noch so viele Fragen und … Beschwerden und …
Das ist mir klar. Ich schicke dir bei Gelegenheit mal den Heiligen Geist vorbei.
Häh? Ihr drei seid doch eins?
Ok, dann halt so: Ich komme mal als Heiliger Geist vorbei.
Kann man dir als Geist denn begegnen so wie dir als Gandalf oder kleiner Mann oder als Gott Vater eben?
Lass dich überraschen! Und grüß mir Claus, wenn du ihn mal wieder triffst.
Aber der hat mich doch …
Der kriegt sich schon wieder ein.
Schon ist Gott verschwunden. Ich sitze noch eine Weile und schaue.